20 Jahre ionesco.de - Blick zurück
Die Website ionesco.de ist im August diesen Jahres seit 20 Jahren online. Neunzehnhundertneunundneunzig - Eugène Ionescos Tod lag gerade einmal fünf Jahre zurück. Er hinterließ ein dramatisches Werk, dessen Wirkung über die Grenzen seiner Wahlheimat Frankreich weit hinausging. Und er hinterließ viele ausgesprochene Gedanken, die noch heute nachhallen und zum Nachdenken anregen. Die Website ionesco.de wollte - anfänglich in Deutsch und Französisch, seit einigen Jahren auch in englischer Sprache - dazu beitragen, die Erinnerung an Eugène Ionesco, sein Werk sowie seine Gedankenwelt zu bewahren. Dabei ging es nie um Aufrufstatistiken oder die heute so begehrten "Likes". Es sollte eine digitale Gedenk- oder besser "Denkstätte" etabliert werden. Und diese möglichst im Sinne Eugène Ionescos. Er war ein Mensch des Zweifels. Was man von ihm mitnahm, waren keine Antworten, sondern Fragen. Aber genau das machte und macht ihn zum Förderer des Denkens. Und wer möge heute, zwanzig Jahre später, behaupten, das Denken hätte eine inflationäre Entwicklung erfahren. Die gravierenden Probleme unserer Zeit sprechen eine recht eindeutige Sprache.
Sehr positiv bleibt nach zwanzig Jahren festzuhalten, dass Eugène Ionesco nicht vergessen ist. An den Schulen und Universitäten setzen sich junge Menschen mit seinem Werk - insbesondere mit "Die Nashörner" - auseinander und führen es sogar auf. Professionelle Theater bringen immer wieder Stücke von Eugène Ionesco, wenn auch mit abnehmender Vielfalt. Feedback und Fragen zu ionesco.de sind in den zurückliegenden 20 Jahren aus allen Erdteilen gekommen. Ganz besonders bleibt eine Anfrage aus dem Iran in Erinnerung, wo vor Jahren junge Menschen eines seiner Stücke aufgeführt haben. Jede einzelne dieser Rückmeldungen bedeutete für den Betreiber der Website ein Zeichen der Hoffnung - auf eine Renaissance des Denkens, auf eine bessere Welt.
Weniger positiv in Erinnerung bleiben Inszenierungen der Stücke Eugène Ionescos, die sich vermutlich nicht mehr an den Intentionen und Gedanken des Autors orientieren. Ionesco war das durchaus bewusst, denn er sagte einst, dass Stücke nicht von Autoren geschrieben werden, sondern von kommenden Generationen. Aber insbesondere sein Stück "Die Nashörner" wird gerne in eine politische Richtung interpretiert und erhält so den Anschein einer neuen Ideologie - etwas, das Eugène Ionesco immer fremd war. Bezüge zu den vielen weiteren Konformismen unserer Zeit und unseres Alltags sucht man vergeblich. Sind diese zu unbequem oder fehlt uns die Wahrnehmung?
Wenig positiv ist auch die Entwicklung der Verfügbarkeit der Werke Eugène Ionescos im traditionellen und digitalen Buchmarkt. Das deutet auf eine sehr überschaubare Nachfrage hin. Wer in die Tiefe des Werks eintauchen möchte, wird um Antiquariate nicht herumkommen. Lediglich einige Klassiker sind gedruckt und als E-Book gut verfügbar. Besonders enttäuschend ist, dass öffentliche Angebote, wie bspw. die Onleihe, nicht dafür sorgen, dass gerade dort, wo es nicht zuvorderst um wirtschaftliche Motive geht, ein breites kulturelles Angebot vorgehalten wird. Eugène Ionesco ist dort gar nicht vertreten.
Aber genug der Rückblende und des Bilanzierens. Schauen wir nach vorne. Die Website ionesco.de wird trotz ihres inzwischen fast anachronistischen Ansatzes hoffentlich noch Jahre bestehen bleiben. Und es gibt Ideen, sie inhaltlich weiterzuentwickeln. Dabei schwingt immer die Sehnsucht mit - nach einem Eugène Ionesco unserer Zeit.