„Lieber Gott, mach, dass ich an dich glaube”

Quelle und weitere Zitate

Glaubensbekenntnis

Am 3. Dezember 1993 veröffentlichte die französische Zeitung Le Figaro ein von Eugène Ionesco im Bewusstsein seines abzusehenden Todes selbst verfasstes Bekenntnis. Die Zeitung übertitelt es mit den Worten "Das Glaubensbekenntnis eines großen Schriftstellers". Im Folgenden soll ein recht kurzer Auszug eines Auszugs des Artikels in eigener Übersetzung vorgestellt werden. Für den vollständigen Artikel sei an dieser Stelle auf die Archive der Zeitung verwiesen.

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Im Alter von 81 Jahren ist Eugène Ionesco ein alter und kranker Mann. Das Leiden ist sein tägliches Schicksal. Und dennoch: Im Angesicht des Todes zieht er die Bilanz seines Lebens mit Gelassenheit, ja sogar mit Dankbarkeit. Trotz seines grundsätzlichen Pessimissmus versucht der Erfinder des Absurden Theaters an Gott zu glauben. Hier ist sein selbst verfasstes Bekenntnis.

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Die Massagen bringen mir nichts. Schließlich, in diesem Moment, geht es mir so schlecht, dass es mir schwer fällt, zu schreiben. Auch die Ideen kommen nicht mehr, wenn der Schmerz so gewaltig ist. Es ist fast fünf Uhr, die Nacht steht bevor, die Nacht, die ich so verabscheue, die mir dennoch manchmal einen angenehmen Schlaf bereitet. Man spielt meine Stücke ein wenig überall in der Welt und ich denke, dass jene, die meine Stücke sehen werden, lachen und weinen, ohne leibhaftige Schmerzen zu haben ...

Meine Frau hat ein Augenleiden, was mein eigenes Leid noch vergrößert. Manchmal kommen Freunde vorbei, hingebungsvolle Freunde. Es macht mir große Freude, sie zu sehen, aber nach rund einer Stunde ermüdet und entkräftet es mich. Habe ich früher Besseres zu tun gehabt? Ich glaube, ich habe meine Zeit vergeudet, bin auf der Stelle getreten, habe mich treiben lassen. Mein Kopf ist leer und ich habe Schwierigkeiten weiterzumachen. Nicht wegen der Schmerzen, sondern wegen dieser existenziellen Leere, die die ganze Welt erfasst, wenn ich sagen darf, die Welt ist voller Leere ...

Wie gewöhnlich, denke ich, dass ich vielleicht diesen Abend oder hoffentlich morgen oder übermorgen sterben werde. Oder wer weiß, vielleicht viel später. Wenn ich nicht ans Schlimmste denke, langweile ich mich, langweile ich mich.  Manchmal denke ich, dass ich denke, denke ich, dass ich bete. Gerade in diesem Moment ist ein Freund gekommen und glücklicherweise unterbricht das für eine Weile die Leere. Aber wer weiß, vielleicht ist da dennoch etwas, irgend etwas. Vielleicht später, ein Moment der Freude. Welche Form hat Gott? Ich glaube, dass Gott oval ist ...

In meiner Karriere wurde mir geholfen, Karriere, wie man so schön sagt. Geholfen seitens einer Vielzahl von Menschen, denen ich Erkenntlichkeit schulde. Da ist zuvorderst meine Mutter, die mich auf die Welt brachte und aufzog. Sie war von einer unglaublichen Sanftheit und voller Humor - trotz des Todes eines ihrer Kinder im frühesten Alter und trotzdem sie im Stich gelassen wurde, wie ich es oft gesagt habe, durch ihren Ehemann, allein gelassen in der großen Stadt Paris. Dort fand sie ihre Schwester Sabine, die ihr eine kleine Bleibe mit meinen Großeltern vermitteln konnte, Jean und Anne ...

Mir wurde später von meinem Vater in Bukarest geholfen, der mich zum Schulabschluss verdonnerte. Später half ich mir selbst, indem ich einen Hochschulabschluss machte. Aber es sind im Laufe meines Lebens vor allem meine Frau Rodica und meine Tochter Marie-France, die mich immer wieder unterstützt haben. Ohne sie hätte ich ohne Zweifel nichts gemacht, nichts geschrieben. Ich verdanke und widme ihnen mein gesamtes Werk.

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Mir wurde von Gott geholfen, als Flüchtling in Paris, da ich mich nicht den Kommunisten in Bukarest anschließen wollte. Ich nahm meinen Geldbeutel ohne einen einzigen Sou, um zum Markt zu gehen. Und dort fand ich auf dem Boden liegend 3000 Francs von 1940. So einige Umstände waren zu meinen Gunsten. Es war möglicherweise Gott, der mir in meinem Leben und in meinen Anstrengungen half. Und ich habe es nicht wahrgenommen. Und schließlich wurde mir von meinem Eigentümer der rue Claude-Terrasse geholfen, Monsieur Colombel. Gotte segne ihn. Monsieur Colombel wagte es nicht, einen Flüchtling auf die Straße zu setzen, der seine Miete nicht zahlen konnte. Er war möglicherweise auch von Gott gesandt.

Und schließlich erreichte ich diese Art von enormer Berühmtheit und gemeinsam mit meiner Frau das hohe Alter von 80 bzw. über 81 Jahren. In der Angst zu sterben und der Angst im Allgemeinen ohne mir darüber bewusst zu werden, dass Gott mir einiges Gutes hat zukommen lassen. Er hat für mich nicht den Tod abgeschafft, was ich für unzulässig halte. Aber ich hatte ein Leben, Gesundheit, Ärzte, die mich aus Gefahren befreiten, in die mich meine Exzesse geführt hatten ...

Trotz meiner Anstrengungen, trotz meiner Gebete, habe ich es nicht geschafft, mich in die Arme Gottes fallen zu lassen. Ich habe es nicht geschafft, in genügendem Maße zu glauben. Ich bin, leider, wie dieser Mann, von dem man sagt, dass er jeden Morgen sein Gebet spricht: "Lieber Gott, mach, dass ich an dich glaube."

Wie die ganze Welt, weiß ich nicht, ob es auf der anderen Seite etwas gibt oder nicht. Ich bin geneigt zu glauben, gemäß Papst Johannes Paul II., dass sich ein kosmischer Kampf ereignet zwischen den Mächten der Finsternis und jenen des Guten. Ich hoffe auf den finalen Sieg der Mächte des Guten, sicherlich, aber wie wird das genau geschehen?

Man erscheint nicht auf der Welt, um zu leben. Man erscheint, um zu vergehen und zu sterben. Man erlebt die Kindheit, man wird erwachsen, sehr schnell beginnt man zu altern und dennoch ist es schwierig, sich eine Welt ohne Gott vorzustellen. Es ist nichtsdestotrotz viel leichter, sich eine Welt mit Gott vorzustellen ...

Früher, wenn ich jeden Morgen aufstand, sagte ich: Dank an Gott für einen weiteren Tag. Jetzt sage ich: Ein weiterer Tag, den er mich zurückgelassen hat. Was hat Gott mit all den Kindern und dem Vieh gemacht, das er Hiob nahm?

Jedoch glaube ich trotz allem an Gott, weil ich an das Böse glaube. Wenn es das Böse gibt, gibt es auch Gott.